Warum Faszien immer faszinierender werden
Als Faszientherapeut interessiere ich mich auch sehr dafür, zu welchen Erkenntnissen die Faszienforschung aktuell kommt. Zu diesem Thema ist eine neue Dokumentation zum Thema Faszien aufgesetzt worden, die zur Zeit in der Mediathek des Kanals ARTE zu sehen ist. Ich möchte dir hier diese Doku ans Herz legen, weil sie immer mehr das, was wir bei Equilibrium State anwenden und praktizieren, zur Sprache bringt. Die Dokumentation gibt einem einen sehr schönen Einblick in die immer tiefer gehende Faszination der Faszien, eines vielschichtigen Organs mit vielen Aufgaben. Besonders interessant ist natürlich der Bewegungsaspekt bzw. der Zusammenhang zwischen Bewegung, Verspannungen und unerklärlichen Schmerzen. Die Faszien setzen diese Aspekte immer mehr in Beziehung zueinander.
Auch das Thema Stress wir in dieser Doku wieder beleuchtet. Der Zusammenhang von verstärkten Schmerzen im Bewegungsapparat in Stressphasen wird hier sehr deutlich gemacht.
Es ist schon längst keine Frage mehr wie viel Potential in der Faszienarbeit steckt und wie sehr wir als Menschen davon für unseren Alltag profitieren können. Das merke ich natürlich an mir selbst und auch an meinen Klienten.
Hier geh es zur Arte Mediathek und zur Doku:
Leider kommt die Dynamik der Selbstorganisation der Faszien im Bezug auf unser Bewegen ein wenig zu kurz. Die qualitativ sehr unterschiedlichen Bewegungen eines Körpers, der sich ineffizient und mit zuviel Spannung bewegt, wird sein Fasziennetz auf die Dauer schwächen, wohingegen ein Körper, der sich effizient und entspannt bewegt, ein vitales und vor allem anpassungsfähiges Fasziennetzwerk haben wird.
Der ganze Aspekt körperlicher Entwicklung, das heißt dem Körper einen Rahmen gewähren zu lernen, unter dem er sein volles Bewegungspotential und auch sein körperstrukturelles Potential entfalten kann, bekommt vor dem Hintergrund der Faszien eine wissenschaftliche Basis und auch Worte, um Mechanismen und Zusammenhänge zu erklären.
Bewegen müssen wir uns dann allerdings selber. Die Tensegritität, die in der Doku betont wird, ist womöglich das Besondere und Faszinierende, das uns die Faszien bieten im Bezug auf Bewegung und Körperstruktur. Sie zwingt uns fast schon den Blick ganzheitlich werden zu lassen, da nachweislich alles mit allem zusammen hängt.
Und doch bleiben Faszien „nur ein etwas“, das wir mit unseren Gedanken und Konzepten sowie Sprache in eine bestimmte Form packen, damit wir es verstehen und Erkenntnisse gewinnen können. Auf einem Weg zur vollen Potentialausschöpfung ist es meiner Meinung nach jedoch auch wichtig, sich eben paradoxerweise von diesen Erkenntnissen wieder zu distanzieren und sich auf sein eigenes Körpergefühl und seinen eigenen inneren Rahmen voll und ganz einzulassen.
Denn wie in der Doku auch erwähnt wurde erscheinen Faszien zuerst einfach nur chaotisch, bis wir sie schematisieren und ordnen. Ich finde es wichtig sich in der Praxis mit dem Chaos anzufreunden, denn dieses natürliche für uns unverständliche Chaos ist die pure Natur, „Das, was aus sich selbst heraus passiert“.
Wahrscheinlich gibt es keine Studie dazu, aber wir können davon ausgehen, dass diese Dynamik Struktur hat und sich diese Prozesse garantiert in uns entfalten, wenn wir ihnen den Rahmen dafür bieten. Die Erkenntnisse der Forschung bieten hier eine sehr gute Hilfe.
Vielleicht sind Faszien auch eine Erweiterung unseres Gehirns oder selbst ein Rahmen?
Sehr spannend finde ich auch die Zusammenhänge zwischen unserem Gehirn und Nervensystem und den Faszien. Nicht nur unter einem Schmerzaspekt, sondern in einem viel generellerem. Soweit ich mich erinnere, gibt es in unserem Gehirn neuronale Netzwerke, in der unsere Körperhaltung abgespeichert ist oder unser Bewegungsvermögen, zum Beispiel Gehen, Sitzen, Stehen etc. Vielleicht ist es ja auch so, dass unser Gehirn über unser Nervensystem unser Fasziennetz gezielt ansteuert, um diese abgespeicherte Körperstruktur zu manifestieren oder das Netzwerk so dynamisch zu halten, dass wir bestimmte Bewegungen wie auf Knopfdruck machen können. Über die Faszien findet eine sehr schnelle Informationsübertragung statt. Spontanität kommt hier ins Spiel. Plötzlich zu flüchten oder zur Seite zu springen könnten Programme sein, die mit oder in unserem Fasziennetz „installiert“ sind, Faszien also durch unser Gehirn und Nervensystem so beschaffen gehalten werden, das diese Bewegungen möglich bleiben. Oder eben durch Bewegungsmangel nur eingeschränkt oder ineffektiv.
Ich möchte in diesem Artikel noch ein anderes Video einfügen. Dabei geht es um ein Buch, das letztes Jahr in Amerika erschienen ist. Es heißt “
„Stealing Fire: How Silicon Valley, the Navy SEALs, and Maverick Scientists Are Revolutionizing the Way We Live and Work“ von Steven Kotler und Jamie Wheal
Es befasst sich mit Erkenntnissen aus der Hirnforschung im Bezug auf besondere Bewusstseinszustände wie sie zum Beispiel in der Meditation oder Trance erreicht werden. Der Fokus liegt darauf, was dabei im Gehirn passiert und wie diese Erkenntnisse genutzt werden können um eine höhere Leistung im Alltag zu erzielen. Was mir besonders im Kopf geblieben ist, war die Erkenntnis, dass in einem meditativen Zustand (non-ordinary conscious state) unter anderem das neuronale Netzwerk im Gehirn runtergefahren wird, das für das Navigieren zuständig ist (navigating). Jeder, der schon einmal meditiert hat wird das Gefühl kennen, wie sich die eigenen Körpergrenzen langsam auflösen.
Und um den Bogen zu den Faszien wieder zu ziehen. Faszien sind dafür verantwortlich, dass wir unsere Körpergrenzen wahrnehmen können. Wir also unseren Arm mit geschlossenen Augen im Raum lokalisieren können. Vielleicht wird unser Fasziennetz in einem non-ordinary conscious state anders oder weniger stimuliert? Vielleicht sind Faszien als Organ das Werkzeug des Gehirns, um neuronale körperliche Information letzten Endes in Form zu bringen. Vielleicht sind Faszien ein Werkzeug, um die neuronale Information von Körper wirklich zum Körper werden zu lassen und zu erhalten?
Eins ist klar. Bei aller Spekulation :), Faszien sind faszinieren und geheimnisvoll, vielleicht gerade weil in ihnen das Chaos der Natur zum Vorschein kommt.